Langlebigkeit:
Gestaltung mit Weitsicht
Gerrit Terstiege
In dieser Serie wollen wir beispielhafte Produkte vorstellen, die sich bereits Jahrzehnte am Markt bewährt haben. Wir wollen analysieren, welche Faktoren, Materialien und Eigenschaften jeweils dazu beigetragen haben, dass ein Objekt sowohl in funktionaler als auch in ästhetischer – und nicht zuletzt in ökonomischer und ökologischer Hinsicht – große Haltbarkeit entwickeln konnte. Dieter Rams hat mit seinen Zehn Thesen und mit seinem Diktum „Weniger, aber besser“ die geistigen Grundlagen für eine vernunftbasierte und langlebige Gestaltung formuliert. Die von ihm definierten, einzelnen Aspekte guter Gestaltung tragen Punkt für Punkt dazu bei, dass ein Produkt überhaupt erst die Chance bekommt, auch in Jahren oder Jahrzehnten noch genutzt und geschätzt zu werden – statt wechselnden Trends zu folgen und die Müllhalden dieser Welt durch kürzere Verbrauchs-Zyklen immer schneller anwachsen zu lassen. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass der ihm gewidmete und von Klaus Klemp kuratierte Dieter Rams Stilraum im Museum Angewandte Kunst Frankfurt das großformatige Foto einer Müllhalde zeigt – durchaus als Mahnung und Anstoß an Entscheider in Industrie, Politik und Gestaltung, nicht die Konsequenzen ihres Handelns aus dem Blick zu verlieren. Und so ist es zu begrüßen, dass aktuell den ökologischen Auswirkungen moderner Industrieproduktion immer größere Bedeutung beigemessen wird.
Dieter Rams Stilraum im Museum Angewandte Kunst Frankfurt
Foto: Klaus Klemp © rams foundation
An Designhochschulen, wo die künftigen Gestalterinnen und Gestalter ausgebildet werden, sollte Langlebigkeit auch in visionären Projekten und Studien immer eine maßgebliche und entscheidende Rolle spielen – nicht bloß die vielleicht spektakuläre Idee. Immer wieder hat sich Dieter Rams gegen das Spektakuläre ausgesprochen und das Unspektakuläre für wichtig erachtet. Dabei ging es ihm immer um das Herausarbeiten des Wesentlichen eines Produkts. Klar ist: ein Bleistiftspitzer muss nicht aussehen, als sei seine Form im Windkanal optimiert worden. Eine Küche braucht nicht kugelrund zu sein, um zu einem sinnvollen Arbeitsraum zu werden. Und eine Zitronenpresse kann ganz ohne skulptural-künstlerische Anklänge auskommen. Die Designgeschichte hat vielfach gezeigt, dass sich mit außergewöhnlichem Formvokabular kurzzeitig Aufmerksamkeit erzeugen lässt. Langfristig indes wird vieles irrelevant und gerät so manches in Vergessenheit, dass vor Jahren „radikal”, „künstlerisch” oder postmodern-eigenwillig erschien. Es ist viel schwieriger, einen durchdachten, langlebigen Gestaltungsansatz zu verwirklichen, als das nur Neuartige zu inszenieren. Mit überraschenden Formen und Farben etwa, die den Eindruck von Geschwindigkeit und Dynamik evozieren, lassen sich in den klassischen wie in den sozialen Medien rasant Reichweite generieren und virale Effekte erzielen. Doch zu welchem Zweck und mit welchen Konsequenzen?
„Die Zeiten gedankenlosen Designs”, so Rams, „die nur in Zeiten gedankenloser Produktion für gedankenlosen Konsum gedeihen können, sind vorbei. Wir können uns keine weitere Gedankenlosigkeit mehr leisten.” Daher möchten auch wir als rams foundation eben jene Gestaltungsansätze zur Diskussion stellen, die zu einer langen Lebensdauer von Produkten führen. Design allein kann dies übrigens nicht leisten – es gehören ebenso eine qualitätvolle Produktion und die Verwendung haltbarer Materialien dazu, damit die Rechnung aufgeht. Und all dies ist oft nicht zu einem billigen Preis zu haben. Aber den Preis, den wir alle zahlen, wenn die Märkte von noch mehr Billigware, billigster Technik und denkbar billiger Kleidung überschwemmt werden, ist womöglich ein sehr hoher.
Mut macht, wie in vielen Branchen heute bereits wiederaufbereitete Werkstoffe verarbeitet werden, wie intensiv man an neuen Verfahren und Konzepten der Wiederverwendung, Umnutzung und gemeinsamen Teilhabe an Gütern und Geräten arbeitet. Aber gerade, wenn etwa Sharing-Konzepte, unterstützt durch entsprechende Apps, dazu führen, dass nicht jeder ein Produkt für sich allein kauft und nutzt, sondern es vielen zur Verfügung steht, kommen abermals Aspekte wie Langlebigkeit, einfache Nutzbarkeit und hohe Fertigungsqualität ins Spiel. Doch bleibt ohne Zweifel die Ästhetik die zentrale Determinante für den wirtschaftlichen und ökologischen Erfolg eines Produkts. Bezogen auf die Architektur hat dies kürzlich der renommierte Architekt und Professor Muck Petzet auf den Punkt gebracht: „Geschmack ist der häufigste Grund für Abriss – nicht technischer Zustand oder Funktionalität.”
Weitere Beiträge
„Läuft und läuft und läuft…“, die Braun citromatic MPZ 2 von 1972
Das seit über 50 Jahren unverändert hergestellte Produkt der Marke Braun ist eine kleine, unspektakuläre Zitruspresse. Derer gibt es auf dem Markt viele, mit unterschiedlicher Technik, um den Saft der Orange oder sonstiger Zitrusfrüchte vom Rest zu trennen. Langlebige Technik trifft auf ein langlebiges Design. Und das läuft bis heute auch im Verkauf.
Ein leuchtendes Beispiel für langlebige Gestaltung: die PH5
Die Gestaltung von Leuchten bietet fraglos große Freiräume. Denn das mehr oder minder fokussierte Abstrahlen von Licht ist technisch betrachtet keine besonders komplexe Aufgabe. Aber genau diese Gestaltungsfreiräume führen dazu, dass seit Jahrzehnten Unmengen an exaltierten, experimentellen oder unnötig dynamisch erscheinenden Leuchten entworfen werden.
Weniger, aber besser: Dieter Rams' erste Ausstellung in China
Unsere Wanderausstellung reist in Zusammenarbeit mit der Beijing Contemporary Art Foundation (BCAF) unter dem Titel „Weniger, aber besser: Dieter Rams‘ erste Ausstellung in China“ zu einer der wichtigsten Produktionsstätten für den Welthandel und damit zu einer der Zentren, wo vernunftorientierte Gestaltung einen hohen Stellenwert einnehmen muss, zum Land der Mitte.