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Im Dialog mit Studentinnen und Studenten: Dieter Rams am vertrauten Vitsœ-Tisch mit Jieldé-Leuchte in der HFBK Hamburg
Foto: Jo Klatt © Hartmut Jatzke-Wigand

Die Hamburger Jahre

Dieter Rams und die Lehre
Gerrit Terstiege

Ein großes Kapitel im Leben von Dieter Rams, über das bislang wenig bekannt ist: von 1981 bis 1997 war er Professor für Industrial Design an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Eine Spurensuche.

Ein paar verstreute Informationen, Bilder und Zitate gibt es zu den Hamburger Jahren von Dieter Rams. Aber viele sind es nicht. Etwa in dem WDR-Filmporträt „Wer ist Mr. Braun?“ (1997) der Regisseurin Susanne Mayer-Hagmann. Hier werden Szenen der Verabschiedung des langjährigen Professors gezeigt, bei der er seinen Studenten ein paar wichtige Ratschläge mit auf den Weg gibt: „Versucht euch international. Versucht euch nicht einseitig festzulegen auf unser Gebiet, sondern darüber hinaus: Ihr müsst was wissen über Wirtschaftswissenschaften, über die generelle kulturelle Bewegung. Ihr müsst Philosophen sein, aber auch Psychologen.“ Adrienne Göhler, die damalige Präsidentin der HFBK, bringt auf den Punkt, was die bis heute stark künstlerisch ausgerichtete Ausbildungsstätte dem Gestalter zu verdanken hat: „Dieter Rams hat natürlich das Produktdesign an dieser Hochschule ganz entscheidend geprägt. Er als Person – der sowohl Tischler, Architekt, Innenarchitekt und Designer ist – hat viele Disziplinen in sich vereint. Das ist vielleicht auch das größte Vermächtnis, das er der Schule hinterlassen hat: die Disziplinen noch stärker in den Dialog zu bringen und zu vernetzen. Weil Dieter Rams ist sehr radikal – er sagt: Design ohne Architektur und Visuelle Kommunikation hat überhaupt keine Zukunft. Punkt.“ 

Aber wie kam er eigentlich nach Hamburg? Wenn man es recht überlegt, scheinen zwei Aspekte nicht unbedingt ideal: die starke Ausrichtung der HFBK als Kunsthochschule, bei der das Produktdesign eine eher untergeordnete Rolle spielt. Und die Entfernung von Kronberg: fast 500 Kilometer. Ausschlaggebend – und offensichtlich überzeugend – war der Designer Peter Raacke (1928 – 2022), einst Dozent an der HfG Ulm, wie Rams gebürtig aus Hessen und damals bereits Professor an der HFBK. Er setzte sich dafür ein, den namhaften Braun-Designer für die Hochschule zu gewinnen. So erinnert es der Designer Olaf Barski, der bei beiden Professoren studiert hat. Drei Tage pro Monat stellte man Rams für die Lehre frei. Gewiss eine Doppelbelastung. Doch womöglich war es auch wohltuend, ab und zu eine Auszeit vom Tagesgeschäft in Kronberg zu nehmen. Und sicher war es inspirierend für Rams, sich mit jungen Menschen über Gestaltungsfragen auszutauschen, sein Wissen an die nächste Generation weiterzugeben. „Er schätzte zu meiner Zeit an der HFBK besonders das Gespräch, die Beratung unter vier Augen, an seinem Tisch”, so der ehemalige Rams-Student Peter Eckart, heute Professor an der HfG Offenbach und Gründer des Frankfurter Studios Unit-Design. Erhalten sind Fotos, die den Hochschul-Arbeitsraum zeigen, wie er von Rams eingerichtet worden war. Eine seiner Devisen lautet: „Man soll das Naheliegende tun“ – das erklärt auch, warum sich seine Möbelentwürfe, etwa der von Eckart angesprochene Arbeitstisch mit Doppelplatte, sein Stapelprogramm und sein Vitsœ-Bett ebenfalls in Hamburg fanden. Rams schlief auch in diesem Zimmer, was ihm Zeit und Wege sparte und der Hochschule über die Jahre viel Geld für seine Unterbringung. Auf seinem Schreibtisch: die unprätentiöse schwarze Jieldé-Leuchte, die ihm aus Kronberg, bei Braun und zuhause, vertraut war. Weiterhin in Reichweite: der Braun-Tischlüfter HL1 und eine Braun-Weckuhr. An die kahlen Wände hatte Rams Zeichnungen im DIN-A-4-Format geheftet, die eine zeigt eine Figur mit dem Kopf in den Wolken. Diese kleinen verspielten Skribbles, die sich bis heute auch in seinem Haus an überraschenden Stellen finden, zeigen eine andere, eine charmant-humorvolle Seite von ihm. In der erwähnten Filmdoku sieht man kurz auf dem bodennahen Tisch liegende Magazine: ganz zuoberst auch jene Ausgabe der Schweizer Architekturzeitschrift „Hochparterre“, die ihn rauchend im Trenchcoat auf dem Titel zeigt. Heute befinden sich eben diese Vitsœ-Möbel im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe im „Dieter Rams Raum“ – aber nicht als klassische Ausstellungsstücke, hinter Glas. Vielmehr dürfen sie von wechselnden Stipendiaten benutzt werden. Zu verdanken ist dies dem Braun-Sammler, Journalisten und Grafiker Jo Klatt, dem Rams nach dem Ende seiner Hamburger Zeit die Möbel überlassen hatte, und der sie dem Museum schenkte. In direkter Nachbarschaft zum musealen Rams-Raum: Teile der berühmten SPIEGEL-Kantine von Verner Panton –die Gegensätze könnten größer nicht sein. 

Anlässlich der Eröffnung der neuen Designabteilung des Museums kamen 2012 ehemalige Studenten und Studentinnen mit Rams zusammen, so auch Andreas Hackbarth: „Der Zufall wollte es, dass ich sein allererster Student war, ganz zu Beginn seiner Lehrzeit in Hamburg. Ich hatte damals mein Studium praktisch abgeschlossen und hängte noch zwei Semester dran, sozusagen als Meisterschüler. Die langen Gespräche in dieser Anfangsphase brachten uns auf besondere Weise zusammen. Wir haben bis heute Kontakt.” Rams vermittelte Hackbarth nach dessen Studium einen Platz in der Designabteilung bei Braun, für ein Jahr. Und als Rams in den 1990er Jahren von Tecnolumen gefragt wurde, ob er für das Unternehmen eine Arbeitsleuchte entwerfen könne, erinnerte er sich an seinen ehemaligen Studenten und perfektionierte zusammen mit diesem einen Entwurf, den Hackbarth bei Rams in Hamburg als Projekt entwickelt hatte. Der Leuchte „RHa 1” war aus verschiedenen Gründen – auch wegen ihres hohen Endpreises um die 1000 DM – kein wirtschaftlicher Erfolg beschieden. Sie wird aber heute unter Rams-Sammlern hochgeschätzt und bleibt ein seltenes und leuchtendes Beispiel für eine enge Zusammenarbeit zwischen Professor und Student – bis zur Serienreife. Hackbarth: „Es war für mich 2012 schon ein echtes Déjà-vu, ihn wieder an seinem alten Schreibtisch in diesem Hamburger Museum sitzen zu sehen. Ich habe ihm damals drei grüne Äpfel mitgebracht, denn die gehörten immer zur Standard-Ausstattung auf seinem Tisch, als er unser Professor war.”

Rams-Möbel im Rams-Raum: Elemente des Vitsœ-Stapel-programms gruppieren sich um einen bodennahen Tisch 
Foto: Jo Klatt © Hartmut Jatzke-Wigand
Auch die Hamburger Licht-Designerin Ulrike Brandi hat in den achtziger Jahren bei Rams studiert und erinnert sich: „Er war verlässlich da und man konnte ihn praktisch zu jeder Tages- und Nachtzeit um Rat fragen, das war klasse. Rams hat selten Aufgaben oder Themen vorgegeben, sondern einen einfach unterstützt. Sehr akribisch und engagiert.” In seinem Buch Weniger, aber besser stellt der Designer ausgewählte Studentenarbeiten vor: von einem Stapelstuhl für die Aula der Hochschule (Angela Knoop) über eine Isolierflasche (Maja Gorges) bis zum Konzept für einen ökologischen Waschsalon (Peter Eckart, Jochen Henkels). Rams ist überzeugt: „Gutes Design beginnt mit der Ausbildung von guten Designern.” Aber er bezeichnet in seinem Buch die Qualität der Designausbildung in Deutschland als „fragwürdig” und nennt als Hauptgrund die Vielzahl der Schulen. Von diesen hätten die meisten nicht die Möglichkeit, Industrie-Designer so auszubilden, „dass sie den hohen und komplexen Anforderungen der Praxis entsprechen”. Leider hat sich in den letzten Jahrzehnten an dieser Situation kaum etwas geändert. Eine bessere Ausbildung für weniger Designstudierende – hier zeigt sich eine neue und sehr aktuelle Facette des berühmten Credos von Rams.

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