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Auch hier markant rot-orange: der zentrale UKW-Schalter des Steuergeräts regie 500
Foto: Andreas Kugel © rams foundation

UKW: rot-orange

Dieter Rams und die Farben
Gerrit Terstiege

Gerade weil im Werk von Dieter Rams Farben eine scheinbar untergeordnete Rolle spielen, kommt ihnen große Bedeutung zu. Ein Widerspruch?

Aktuell meiden viele Hersteller die Festlegung auf bestimmte Farben – gerade im Möbel-, Produkt- und Automobil-Design werden die Paletten immer breitgefächerter, die angebotenen Farbabstufungen immer zahlreicher. Und jenseits der als „Trendfarben” beschworenen Töne, sind heute vielfach weitere effektvolle Oberflächen-Varianten realisierbar: von der golden glänzenden Limousine bis zum SUV mit extrem matter Lackierung. Alles ist möglich, alles farblich individualisierbar. So werden heute vermehrt ästhetische Entscheidungen, die früher allein von Gestaltern getroffen wurden, auf die Kunden übertragen. Was bei dieser Entwicklung gänzlich verloren geht: eine gestalterische Haltung Farben gegenüber, wie wir sie aus der Ära Rams bei Braun kennen. Wenn man sich klar macht, wie stark eine Farbe ein Produkt verändern kann – sich gar eine neutrale Form mit der entsprechenden Lackierung in ein auffälliges oder gar vulgäres Objekt verwandeln lässt – kann man diesem Phänomen nur mit Skepsis begegnen. 

Die von Dieter Rams verantworteten Entwürfe für Braun kennzeichnen dagegen einen subtilen Farbeinsatz und meist unbunte Farben in Grauabstufungen, Weiß und Schwarz. Hinzu kommen, so Rams in seinem Buch „Weniger, aber besser“, „unmittelbare Metallfarben wie z.B. Aluminium natur oder dunkel eloxiert und Velourchrom“. Höchst sparsam und bedacht wurden von ihm glänzend verchromte Elemente – etwa bei Antennen oder Tragebügeln – eingesetzt. Monochrome Produkte mit starken Farben gab es bei Braun vermehrt in der ersten Hälfte der 1970er Jahre, analog zum vorherrschenden Einrichtungsstil jener Jahre, der durch starke Farbigkeit gekennzeichnet war. Tendenziell wurden bei Braun markante Töne eher bei kleinformatigen, handlichen Geräten wie Rasierern, Reiseföns, Tischfeuerzeugen oder Weckuhren eingesetzt. Je raumgreifender und technisch komplexer ein Produkt, desto sparsamer der Einsatz greller Farben. Bei einem großformatigen, schwarzen Gehäuse wie etwa der Kompaktanlage audio 308 wirken die punktuell eingesetzten Farben um so stärker und prägen die Gesamterscheinung. Bereits seit den sechziger Jahren findet sich fast kein Produkt von Rams, bei dem nicht mindestens eine bunte Farbe eingesetzt wird. Diese farbigen Akzente haben bei Druckschaltern immer eine klar erkennbare Anzeigefunktion. 

Eine Farbkarte mit sieben definierten Zuordnungen für bestimmte Funktionen von Braun-Audiogeräten belegt dies: UKW-Tasten sollen demnach „blutorange“ leuchten, Phonotasten wiederum „honiggelb“ – und alle Netztasten „laubgrün“ sein. Diese die Bedienung unterstützende Funktion ist leicht nachvollziehbar, weil sie über eine Farbe eine sinnfällige Brücke baut: etwa zwischen dem orange-farbigen UKW-Knopf des regie 500 und den in gleichem Farbton gehaltenen Skalen-Ziffern für diesen Sendebereich. Man braucht keine langen Gebrauchsanweisungen zu lesen, um solche Zusammenhänge zu verstehen. Sie erschließen sich sofort. Aber wenn man zum Beispiel das T52 und seine technischen und farblichen Varianten (in gebrochenem Weiß, in Hellgrau, Dunkelgrau oder Graublau) nimmt, wird die ästhetische Dimension der Farbwahl immer einleuchtender – denn erst das Zusammenspiel der Farbtöne, etwa das Absetzen der Dreh- von den Druckknöpfen und vom Korpus, machen das kleine Radio zu einem wahrhaft schönen Objekt, das auch das Auge erfreut, wenn es ausgeschaltet im Regal steht. 

Hier zeigt sich das für Rams typische, ästhetische Feingefühl, sein besonderer Sinn für Farbklänge und ihre harmonische Kombination. Diese farblichen Dialoge – bezogen auf das Werk des Bauhäuslers Josef Albers „Interaction of Color” genannt – beziehen sich bei Rams nicht nur auf abgestimmte Töne von Lacken oder Kunststoffen, sondern auch auf die Farbklänge unterschiedlicher Materialien. 

Ein formal besonders gelungenes Beispiel ist hier das Radio RT 20, produziert ab 1961, von dem es zwei Varianten gibt. Bei der einen wird das in gebrochenem Weiß lackierte Stahlblech der Vorderseite mit Buchen-Furnier gepaart – während bei der dunklen Ausführung die anthrazit-farbene Front mit Birnbaum-Furnier kombiniert wird. Nicht zu vergessen: der warme Gelbton der Skalenbeleuchtung. Beide Farb-Material-Paarungen der RT 20 harmonieren und offerieren dabei zwei gänzlich unterschiedliche Anmutungen des gleichen Geräts. Optionen, die wenige Jahre vorher beim Schneewittchensarg SK4 noch nicht als notwendig erachtet wurden. Aber man hat es eben auch bei diesen beiden farblichen Varianten des RT 20 belassen, und nicht fünf oder zehn weitere auf den Markt gebracht. Diese für Rams typische, bewusste Beschränkung hinsichtlich Farben finden wir noch heute in der aktuellen Farbpalette der Bezugstoffe seines Vitsoe-Sesselprogramms: Leinenbezüge gibt es lediglich in vier gedeckten Tönen, Lederbezüge nur in sechs Farben. Ausnahmen und Sonderanfertigungen: ausgeschlossen!

Dietrich Lubs, der 1962 zum Braun-Designteam stieß, dort fast vier Jahrzehnte lang entscheidende gestalterische Beiträge leistete, kann wichtige Hinweise zum gestalterischen Umgang mit Farben bei Braun in der Ära Rams geben. Auf meine Frage, wie überhaupt Farben ausgewählt wurden, erinnert sich Lubs: „Wir haben nicht einfach auf Standard-Farben etwa von RAL zurückgegriffen – auch wenn diese als Richtwert dienten – sondern wir haben auch unsere eigenen Farben angemischt. Das war üblich schon bevor ich zu Braun kam. Dazu haben wir eigene Farbkarten mit Nitro-Farben bemalt und auch am Modell ausgetestet. Wenn uns ein Farbton nicht überzeugte, wurde das Modell eben umgespritzt.”  

Diese Suche nach genau dem richtigen Farbton war manchmal langwierig und aufwändig: „… das war das Schlimmste von allem“, so Klaus Zimmermann lachend, der langjährige Chef der Modellbau-Abteilung bei Braun. Denn allzu viele Farbschichten machten Details und Proportionen am Modell zunichte. Und zu guter Letzt, so Zimmermann, galt es für einen Farbton am Modell genau die richtige Granulat-Mischung für die Produktion zu finden. Man merkt: Was heute selbstverständlich und naheliegend wirkt, musste im Designprozess Schritt für Schritt erarbeitet werden. 

Im Wortsinne vorbildlich wurde der Braun-Taschenrechner ET22 control (1976) mit seinen konvexen Tasten, die Spitzlichter produzieren. Ein Gemeinschaftswerk von Lubs und Rams, das Weltberühmtheit erlangen sollte. Denn die ersten Versionen der Calculator-App des iPhones dürfen durchaus als digitale Hommage gelesen werden – doch ist, was die Zuordnung der Farben und die Größe und Anordnung der Tasten betrifft, die aktuelle Fassung in iOS 16 ein Beispiel dafür, dass eine immer stärkere Vereinfachung des grafischen Interface auch einen Verlust an intuitiver Bedienfreundlichkeit und Ästhetik bedeuten kann. Verglichen mit dem Original, wirkt die App in der aktuellen Fassung nicht mehr wie eine Hommage, sondern verwässert. Rams und Lubs haben schließlich mit Bedacht für eine einzige Taste Gelb gewählt: für die, die das Ergebnis nach einem Rechenvorgang anzeigt. Heute sorgen fünf gelbe Tasten in der App für Verwechselungsmöglichkeiten innerhalb der Rechenarten. Doch apropos Gelb: Dietrich Lubs Wahl dieser Farbe für den Sekundenzeiger der von ihm gestalteten Armbanduhren, Wanduhren und Wecker, ist ein bis heute nachwirkendes, starkes Signal. Lubs: „Der gelbe Sekundenzeiger war mir auch wichtig als Alleinstellungsmerkmal, das die Wiedererkennbarkeit erhöht. Bei anderen Herstellern gab es bereits weiße, schwarze, rote und grüne Sekundenzeiger. Gelbe noch nicht. Daher wurde die Farbe auch durchgezogen bei allen Uhren und Weckern von Braun. Bis heute.“ 

Sehr deutlich hat Dieter Rams seine Haltung zu Produktfarben in einem gefilmten Interview für den gestalten-Verlag zusammengefasst: „Was Farben betrifft, war ich immer sehr vorsichtig. (…) Es gab ein paar Produkte, wo ich bereit war, Farbe zu akzeptieren. Ich mag Farben – aber sie müssen zum Produkt passen. Farbe kann einen Raum dominieren. Und Design sollte die Menschen nicht dominieren, es sollte den Menschen helfen.“ Klar ist: Die von Rams in einem langen Leben getroffenen Farbentscheidungen betreffen natürlich nicht nur die Entwürfe für Braun oder Vitsoe – auch bei nicht produzierten Objekten wie den Behältern einer angedachten Kosmetikserie von Braun oder dem Konzept für ein Lufthansa-Geschirr gibt es einen sensiblen Einsatz von Farben. Und in seinem privaten Umfeld fallen der Silberton seines Porsches, der besondere Olivton mancher Türen in seinem Haus und die auch farblich planvolle Bepflanzung seines Gartens ins Auge – genau wie das wunderbar ausgeblichene Blau seiner Bofinger-Stühle, das Rot der Valentine-Schreibmaschine. Und nicht zuletzt macht die Farbe seines Jacketts bei vielen öffentlichen Auftritten in den letzten Jahrzehnten deutlich, wen man vor sich hat: eben „Mr. Braun“. 

Links: Überblick farblicher Tasten-Kodierungen für Braun-Abspielgeräte;

Rechts: Farbkarte mit Festlegung des Schwarzton von Rasierer-Kabeln

© P&G / Braun Sammlung

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