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Lord Norman Foster in den Räumen seines Stiftungsgebäudes in Madrid beim Interview über Dieter Rams     Das komplette Interview ©  Norman Foster Foundation

„Seine Wirkung ist wirklich universell“

Interview mit Lord Norman Foster von Gerrit Terstiege
Ein großer Teil des Werks von Lord Norman Foster wird mit einer architektonischen Sprache assoziiert, die die Ästhetik technischer Objekte reflektiert. Wie aber steht der britische Architekt heute zum Industriedesign? Und wie sieht er die Arbeit von Dieter Rams?
GT: Man weiß, dass Buckminster Fuller und Otl Aicher zu Ihren Helden gehören. Sie haben mit beiden zusammengearbeitet. Würden Sie sagen, dass Dieter Rams – mit seinem systematischen Ansatz, gepaart mit einer gewissen Sturheit – in diese „Heldenkategorie” fällt?
NF: Wie sehe ich Dieter Rams im Kontext meiner Helden Otl Aicher und Buckminster Fuller? Ich denke, wir sind alle die Summe von Einflüssen. Einige dieser Einflüsse erkennen wir sofort. Wir verweisen auf sie. Andere sind eher unbewusst. Und diese Einflüsse interpretieren wir dann neu, vielleicht auf persönliche Art und Weise. Aber meine Antwort ist ein klares Ja: Ich sehe Dieter Rams als Designer und seinen Einfluss auf einer Stufe mit diesen anderen beiden Helden von mir. Er hatte und hat immer noch großen Einfluss – durch die Art und Weise, wie er komplexen Anforderungen begegnet ist und durch ein diszipliniertes Design Objekte geschaffen hat, die intuitiv nutzbar und in ihrer reduzierten Formgebung schön sind. So wurden sie zu etwas, das heute gern „ikonisch” genannt wird. Ich bin mir sicher, wenn Sie mit einem sehr guten Freund von mir, Jony Ive, über Dieter Rams sprechen, würde er genauso ins Schwärmen geraten wie ich.
© Norman Foster Foundation
Die von Richard Buckminster Fuller in den 1930er Jahren konzipierte automobile Studie „Dymaxion Car” ließ der britische Architekt um 2010 aufwändig nachbauen
©  Norman Foster Foundation
GT: Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie ein Braun-Produkt gesehen oder verwendet haben?
NF: Ich kann mich nicht an das erste Mal erinnern. Aber die Entdeckung der Arbeit von Dieter Rams und seinem Team muss in meine Studentenzeit gefallen sein, etwa als ich nach dem Master-Studium aus Yale zurückkehrte. Entweder das, oder es war, als ich in Manchester studierte, bevor ich in die USA ging. Aber doch in dieser frühen Zeit als Student.
GT: Haben Sie schon einmal Vitsœ-Möbel oder das Regalsystem 606 für ein von Ihnen entworfenes Gebäude vorgeschlagen?
NF: Natürlich sind sie überall in meinem Haus zu finden, und ganz sicher tauchen sie auch in den Gebäuden auf, an denen ich gearbeitet habe.
GT: Es gibt eine ganze Reihe renommierter Architekten, Designer, Künstler und Autoren aus Großbritannien, die ihre Wertschätzung für Dieter Rams und seine Designsprache zum Ausdruck gebracht haben. Jony Ive haben Sie bereits erwähnt, aber es gibt auch Jasper Morrison, Sam Hecht, den Künstler Richard Hamilton, die Autorin Sophie Lovell, die eine Monografie über Rams veröffentlicht hat – allesamt Briten! Während Vitsœ, das Unternehmen, das seine Möbel herstellt, heute sogar in Großbritannien ansässig ist und von Mark Adams aus Ipswich geführt wird. Warum schätzen gerade britische Kreative das Design von Dieter Rams?
NF: Da Sie die Vitsœ-Fabrik erwähnt haben: Die Dachfenster dort wurden vom Industriedesign-Team unseres Büros entworfen. Wir waren nicht die Architekten dieses Gebäudes, aber es war sehr schön, dass sie Produkte verwendeten, die wir entworfen hatten. Ich denke, dass es Dieter Rams zu verdanken ist, dass sich so viele Autoren und Kreative aus Großbritannien für seine Arbeiten begeistern. Aber ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Weise spezifisch für das Vereinigte Königreich ist. Ich glaube nicht, dass es in UK unbedingt eine größere Wertschätzung für das gibt, was er getan hat. Seine Wirkung ist wirklich universell. Sein Werk ist in vielerlei Hinsicht subtil. Wie er Farben einsetzt und Material-Kontraste. Sein Werk ist wunderbar optimistisch. Es hat eine bestimmte Leichtigkeit und Eleganz. Das mag eine sehr persönliche Interpretation sein. Aber ich bin mir sicher, dass man, wenn man mit Dieter Rams über Einflüsse spricht, gewissen Kontinuitäten feststellen wird. In seinen Entwürfen setzt sich zum Beispiel das Kantige der Bauhaus-Bewegung fort. Dennoch ist sein Stil wunderbar persönlich.
GT: Jahrzehntelang galt deutsches Design als „rechteckig und zuverlässig“. Zweifellos wurde dieses Bild zu einem großen Teil von Braun und Dieter Rams geprägt. Würden Sie sagen, dass es auch heute noch Stilelemente gibt, die für bestimmte Nationen typisch sind? Oder ist das Design inzwischen ebenso globalisiert wie die Architektur?
NF: Architektur hat sicherlich eine globalisierende Wirkung gehabt – und das mit durchaus fragwürdigem Effekt. Die Globalisierung in der Architektur hat bestimmte Gebäudeformen verdrängt. Zum Beispiel war ja die traditionelle Architektur in einer Wüstenumgebung geprägt davon, dass es keine billige Energie gab, so dass man einen Schalter umlegen und eine Klimaanlage anschalten konnte. Wie sorgte man also für Kühlung in einem solchen Gebäude? Mit natürlichen Mitteln. Und das ist eine andere Art von Architektur. Andererseits bin ich mir auch bewusst, dass wir heute von globalen Liefer- und Materialketten abhängig sind, die der Realität unserer Zeit entsprechen. Die gleichen Tendenzen sieht man auch beim Design von Flugzeugen, wo es im Wesentlichen nur zwei große Hersteller gibt. Dasselbe sieht man auch im Automobilbereich: immer weniger, größere Unternehmen operieren weltweit. Diese Tendenzen sind also durchaus offensichtlich. Doch inwieweit werden Unterschiede im Design nivelliert? Ich denke, es gibt immer noch Länder, die man mit einer bestimmten Gestaltungssprache verbindet. Dieter Rams entspringt einer bestimmten deutschen Tradition, die sehr edel ist. Und es gibt auch noch immer Merkmale, die für japanisches Design typisch sind. Ähnliches gilt für Italien. Man könnte sagen: Es gibt eher nationale Strömungen – offensichtliche und weniger offensichtliche. Aber ohne Frage haben sich die Entwürfe von Dieter Rams weltweit verbreitet. Sie sind absolut universell.
GT: Da Sie Autos erwähnt haben: Wenn man sich das heutige Automobildesign genauer ansieht, scheint es in diesem Bereich einen deutlichen ästhetischen Verfall zu geben. Vielen Wagen mangelt es an Charakter und Eleganz, oder?
NF: Autodesign ist sicherlich langweiliger geworden. Es gibt natürlich ein Paradoxon: Autos sind leiser, sicherer, sparsamer und zuverlässiger geworden. Doch im Laufe der Zeit haben sie ihre Identität und ihren Charakter verloren. Vielleicht auch als Folge von immer mehr Sicherheitsanforderungen. Das Design muss womöglich immer mehr auf diese Normen reagieren. Im Großen und Ganzen waren die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte überwiegend positiv. Aber wenn man sich die aktuellen Modelle anschaut, fehlt ihnen heute die Lebendigkeit, die Vielfalt früherer Jahrzehnte. Ich denke, dass es wahrscheinlich eher eine kulturelle Frage ist. Vor ein paar Wochen war ich mit dem Designchef von Tesla unterwegs und er zeigte mir die futuristische Version eines Trucks, die optisch völlig aus dem Rahmen fällt. Ich schätze, das Design soll bestimmte Aspekte der Persönlichkeit des Fahrers widerspiegeln, der viele Konventionen in Frage stellt – sei es in Bezug auf Platz oder in welcher Form auch immer. Ich denke, im Automobildesign lassen sich schon noch immer Konventionen brechen und interessantere Formen kreieren. Doch bis es soweit ist, sind wir mit der Realität eines einheitlicheren, langweiligeren, aber fortschrittlichen Stils konfrontiert.
GT: Wie würden Sie Design definieren?
NF: Design ist eine Reaktion auf Notwendigkeiten und hat seinen Ursprung in Überlebensbedürfnissen. Wenn aber das Überleben gesichert ist, gibt es mehr Zeit und mehr Luxus: Man kann dann das Design nutzen, um die Lebensqualität zu verbessern. Es hat also eine funktionale und eine spirituelle Dimension. Ich meine, warum reden wir hier über die Entwürfe von Dieter Rams? Weil sie einfach schöner sind als die anderer Designer! Gestaltung wurzelt in Bedürfnissen: materiellen und spirituellen Bedürfnissen. Design hält uns trocken, wenn es draußen regnet. Es sorgt für Kühle, wenn es draußen heiß ist. Und umgekehrt. Und im Idealfall fühlen wir uns durch gute Gestaltung besser.
Türklinke
Beispiel aus der neuen Türdrücker-Serie FSB 1292, die das Industriedesign-Team von Foster + Partners für den deutschen Hersteller Franz Schneider Brakel konzipiert hat
©  Foster + Partners
GT: 1980 gründeten Sie eine Industriedesign-Abteilung als integralen Bestandteil von Foster + Partners. Was wird Ihrer Meinung nach für dieses Team in den kommenden Jahren besonders wichtig sein?
NF: Dieses Team hat seine Identität, ist aber vollständig in die umfassenderen Arbeiten und Aufgaben von Foster + Partners eingebunden. Wenn man sich zum Beispiel einen Flughafen anschaut und die weiten Räume des Geländes betrachtet, die Art und Weise, wie mit dem Licht umgegangen wird, die große Bewegung der Menschen – auch bei einem solchen Großprojekt kommt es immer noch sehr auf Details und kleinere Einheiten an. In einem Haus ist ja auch der Türknauf wichtig – er bildet die Schnittstelle zum Menschen. Das ist also der wichtigste Teil der Mission dieser Gruppe innerhalb unseres Unternehmens: eine nahtlose Schnittstelle zwischen den Details und dem Gesamtbild eines Architekturprojekts zu schaffen.
GT: Gibt es Designobjekte oder Produktkategorien, die Sie sammeln?
NF: Ich sammle Dinge. Dieser Raum hier ist kein schlechtes Beispiel. Wenn man dort zur Vitrine geht, sieht man eine eklektische Mischung von Objekten, von denen einige vielleicht sofort erklärbar sind, weil man sie betrachtet und sagt: Das ist ein wunderschönes Objekt. Es ist zweckmäßig. Es könnte ein Plattenspieler sein oder was auch immer sein. Es hat eine Funktion, existiert aber auch als eigenständiges, schönes Objekt. Manche brauchen ein Narrativ, weil sie vielleicht persönlicher und weniger universell sind. Aber ja, ich interessiere mich sehr für Objekte.
Norman Foster Foundation
Einblick in die umfangreiche Sammlung von Designobjekten und Architekturmodellen, die in der Stiftung des britischen Baumeisters zu besichtigen sind
©  Norman Foster Foundation
GT: Als ich den neuen, modularen Geschirr-Entwurf „Datum“ von Foster + Partners gesehen habe, mit seinem minimalistischen und funktionalen Ansatz, musste ich gleich an Ulm denken. Haben Sie die Hochschule für Gestaltung in den 1960er Jahren besucht, als sie noch bestand?
NF: Ich habe Ulm nie besucht. Es war auf jeden Fall eine Art Kraftwerk für das Design im Allgemeinen. Ulm setzte in gewisser Weise die Tradition des Bauhauses fort. Ich bin mir sicher, dass die Gründer von Ulm etwas anders argumentieren würden, weil sie auch Probleme mit dem Bauhaus hatten. Abgesehen von diesen Aspekten waren Max Bill, Otl Aicher und andere allesamt herausragende Designer. Ich meine, angesehene Gestalter, die sich auf eine Designphilosophie verständigten und viele Objekte schufen, die lange Zeit ganz selbstverständlich zu unserem Alltag gehörten. Ulm ist meiner Meinung nach ein inspirierendes Beispiel für den Einfluss einer Institution, das Leben zukünftiger Generationen zu prägen. Wir brauchen heute ein Äquivalent. Meine Stiftung ist dabei, mit ihrem Kurs „Nachhaltige Städte“ etwas zu unternehmen, um auf der Grundlage objektiver Daten aufzuklären, zu informieren und einen evidenzbasierten Ansatz zu propagieren, um die Lebensqualität in Städten in eine nachhaltigere Richtung zu verbessern. Daher denke ich, dass die Ansätze der Ulmer Hochschule heute eine umfassendere Bildungsinitiative prägen, die auf aktuelle Fragen Antworten geben muss.
Foster + Partners Geschirr
Foster + Partners entwarf das modulare und stapelbare Geschirr „Datum” für Fürstenberg.
©  Aaron Hargreaves / Foster + Partners
GT: Ihre Gebäude und Entwürfe wirken oft sehr zeitgenössisch. In Ihrer neuen Monographie „Works/Networks“ haben Sie sogar Bauprojekte aufgeführt, die eines Tages auf dem Mars realisiert werden könnten. Aber die Monographie und die jüngste Pariser Ausstellung im Centre Pompidou beschäftigen sich natürlich mit Ihrem gesamten Lebenswerk, das die letzten sieben Jahrzehnte umfasst. Wie wichtig ist es für heutige Designer und Architekten, über die historischen Errungenschaften in diesen Bereichen Bescheid zu wissen?
NF: Geschichte als Bestandteil von Bildung ist unbedingt erforderlich. Es heißt ja: Wenn man weit in die Zukunft blicken will, muss man zunächst einen weiten Blick zurück werfen und Lehren aus der Geschichte ziehen – die heute leider oft ignoriert werden. Beispielsweise ist die DNA jeder Stadt in irgendeiner Weise mit ihrer Vergangenheit verbunden. Wenn wir uns die georgianischen Backstein-Terrassen Londons ansehen, die Teil von Londons DNA sind, machen wir uns nicht den Großen Brand in der Stadt klar, der zu solchen feuerfesten Baugruppenmauern führte. Wenn wir uns Hochhäuser in Chicago anschauen, denken wir nicht an den Großen Brand, der den Beginn der feuerfesten Bauweise markierte und mit der Geburtsstunde des Aufzugs zusammenfiel. Ich könnte noch viele Beispiele dieser Art aufführen. Die Lehren aus der Geschichte sind also wirklich wichtig. Zweifellos.
GT: Wenn Sie heute auf Ihr beeindruckendes Œuvre zurückblicken: Gibt es etwas, das Sie bereuen?
NF: Was bereue ich? Ich bedauere, dass ich nicht die Gelegenheit hatte, alles noch einmal zu entwerfen, was ich jemals angefasst habe. (lacht)
Norman Foster
Auf unsere Frage hin, ob er im Rückblick auf sein imposantes Werk etwas bereue, musste Lord Norman Foster erst einmal lachen
Filmstill ©  Norman Foster Foundation

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