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Vortrag des Tokio Manifest während des Symposions der Tokioer Musashino Art University anlässlich der Ausstellungs-eröffnung Less and More am 23. Mai 2009 mit Hiroshi Kashiwagi, Shutaro Mukai, Taku Satoh, Dieter Rams und Klaus Klemp (v.l.n.r.)
Foto: Keiko Ueki-Polet © rams foundation

Tokio Manifest

Im Rahmen der Ausstellung Less and More in Tokio hat Dieter Rams einen Appell an junge Gestalter und Gestalterinnen gerichtet, der seine Gestaltungshaltung widerspiegelt
Dieter Rams

Anlässlich der umfangreichen Retrospektive in Japan zu meiner langjährigen Designtätigkeit möchte ich die Gelegenheit ergreifen, meinen Standpunkt zum Design vor allem den jungen Designern nachdrücklich zu vermitteln.

Die Welt von morgen wird von den Designstudenten von heute entworfen und ihnen fällt dabei wie jeder jungen Generation eine große Verantwortung, aber auch die Chance eines großen Wandels zu.

40 Jahre habe ich als Produktgestalter und Hochschullehrer diesen Prozess in meiner Generation begleiten können. Auch wir haben damals eine andere Welt mit besseren Produkten gewollt. Designer sollten immer den Ehrgeiz haben, die Welt ein wenig zu verbessern, denn sie wird es nicht von selbst: Wir mussten gegen die Unzulänglichkeiten der Nachkriegszeit kämpfen, heute heißen die Herausforderungen Schutz der natürlichen Umwelt und Überwindung eines gedankenlosen Konsums.

Ich möchte den jungen Gestaltern von morgen Selbstbewusstsein, Mut und Risikobereitschaft wünschen. Und sie ermutigen, nicht die oft nahe liegenden, oberflächlichen, sondern die wirklich besseren Vorschläge zu machen. Schon vor vielen Jahren habe ich dazu zehn Thesen aufgestellt, an denen wir weiter arbeiten sollten: Gutes Design ist für mich innovativ, brauchbar, ästhetisch, verständlich, unaufdringlich, ehrlich, langlebig, konsequent bis ins letzte Detail, umweltfreundlich und schließlich so wenig Design wie möglich. Sehr gutes Design entsteht aber nicht allein durch die Erfüllung dieser Anforderungen. Zum guten Alltagsdesign sollte sich immer auch ein besonderes, für sich selbst sprechendes „extraordinary design“ einstellen können. Das kann nur selten gelingen, aber solche besonderen Produkte, welche die Aura des fast Vollkommenen besitzen, sind notwendiger Ansporn und eine Ermutigung für unsere gesamte Umweltgestaltung. Sie sind der Maßstab für das Zukünftige.

In meinem Berufsleben hatte ich das Glück, mit innovativen und risikofreudigen Unternehmern zusammen arbeiten zu können. Aber es waren nicht nur glückliche Umstände, sondern wir hatten die gleichen Vorstellungen von dieser anderen Welt. Wir wollten Dinge herstellen, die nicht vordergründig auffällig sind, sondern die durch ihren Gebrauch und durch ihre nachhaltige Ästhetik überzeugen.

Aber es gibt auch neue, weiterreichende Herausforderungen an die Gestalter des Morgen. Denn es geht nicht mehr nur allein um die Produkte selbst, sondern auch um neue Strukturen, wie mit diesen Produkten umzugehen ist. Auf die Epoche der industriellen Konstrukteure könnte eine Epoche der gestalterischen Moderatoren folgen, die eine neue Harmonie von Mensch, Natur und Technik herbeiführen. Der Idee des technischen und ökonomischen Fortschritts wäre dabei die Idee einer neuen Ausgewogenheit zur Seite zu stellen: eine neue Balance aus Tradition und Zukunft, aus Globalität und Heimat, aus den Bedürfnissen des Menschen als Individuum und als Teil einer Gemeinschaft.

Das erfordert ein Designethos jenseits von Gleichgültigkeit und Beliebigkeit. Unsere prekäre Umwelt- und Klimalage und eine durchaus labile globale Ökonomie erfordern eine neue Einstellung zu den Dingen. Wir sollten genauer überlegen, was wir produzieren wollen. Weniger ist aber nur dann ein Mehr, wenn es auch ein Besseres als das Mehr ist. Dies werden die heutigen Designstudenten in ihrem Berufsleben lösen müssen. Dazu wird ein ausschließliches Marketing- und Markendesign sicher nicht mehr in der Lage sein. Ein übertriebener Markenkult hat von den echten Produktqualitäten abgelenkt und zu billigen Fake- und Surrogatangeboten geführt, bei denen das echte oder falsche Label wichtiger geworden ist als das Produkt selbst. Worum es aber Gestaltern gehen muss, ist allein eine umfassende Qualität ihrer materialisierten Ideen. Design fängt daher mit Nachdenken an.

Hier in Japan könnte dabei der Ausgangspunkt für ein neues Designverständnis entstehen, wenn wir vor allem die Traditionen dieses Landes als Anregung für die Zukunft verstehen würden. Eine Auseinandersetzung mit dem jahrhundertealten Zen oder dem japanischen „Teeweg“ könnte unsere Dingwelt neu beleben. Das Mitdenken von Leere für eine bestimmte Zeit wäre ein Beginn zu einem völlig neuen Produktverständnis.

Ein neuer Umgang mit unseren Produktwelten und Ressourcen kann eine Befreiung sein und kann ein neues unbeschwertes Lebensgefühl hervorbringen. Produkte, die langlebig, intelligent, brauchbar, nützlich und umweltkompatibel sind, können eine viel tiefere Befriedigung des Gebrauchs hervorrufen. Dieses neue Design muss nicht langweilig, sondern es kann ganz im Gegenteil aufregend sein.

Eine zukünftige, interkulturell vernetzte, medial erfahrene und wissensreiche Designergeneration wird die Fehler des heute vermeiden können und bessere Lösungen finden. Dazu möchte ich alle jungen Kolleginnen und Kollegen ermuntern.

Es lohnt sich, ein guter, an neuen Technologien orientierter und bei aller Einbindung in den Designprozess stets frei denkender Designer zu sein.

(2009)

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