GT: Erinnern Sie sich an das erste Mal, als Sie ein Braun-Produkt gesehen oder verwendet haben?
NF: Ich kann mich nicht an das erste Mal erinnern. Aber die Entdeckung der Arbeit von Dieter Rams und seinem Team muss in meine Studentenzeit gefallen sein, etwa als ich nach dem Master-Studium aus Yale zurückkehrte. Entweder das, oder es war, als ich in Manchester studierte, bevor ich in die USA ging. Aber doch in dieser frühen Zeit als Student.
GT: Haben Sie schon einmal Vitsœ-Möbel oder das Regalsystem 606 für ein von Ihnen entworfenes Gebäude vorgeschlagen?
NF: Natürlich sind sie überall in meinem Haus zu finden, und ganz sicher tauchen sie auch in den Gebäuden auf, an denen ich gearbeitet habe.
GT: Es gibt eine ganze Reihe renommierter Architekten, Designer, Künstler und Autoren aus Großbritannien, die ihre Wertschätzung für Dieter Rams und seine Designsprache zum Ausdruck gebracht haben. Jony Ive haben Sie bereits erwähnt, aber es gibt auch Jasper Morrison, Sam Hecht, den Künstler Richard Hamilton, die Autorin Sophie Lovell, die eine Monografie über Rams veröffentlicht hat – allesamt Briten! Während Vitsœ, das Unternehmen, das seine Möbel herstellt, heute sogar in Großbritannien ansässig ist und von Mark Adams aus Ipswich geführt wird. Warum schätzen gerade britische Kreative das Design von Dieter Rams?
NF: Da Sie die Vitsœ-Fabrik erwähnt haben: Die Dachfenster dort wurden vom Industriedesign-Team unseres Büros entworfen. Wir waren nicht die Architekten dieses Gebäudes, aber es war sehr schön, dass sie Produkte verwendeten, die wir entworfen hatten. Ich denke, dass es Dieter Rams zu verdanken ist, dass sich so viele Autoren und Kreative aus Großbritannien für seine Arbeiten begeistern. Aber ich glaube nicht, dass es in irgendeiner Weise spezifisch für das Vereinigte Königreich ist. Ich glaube nicht, dass es in UK unbedingt eine größere Wertschätzung für das gibt, was er getan hat. Seine Wirkung ist wirklich universell. Sein Werk ist in vielerlei Hinsicht subtil. Wie er Farben einsetzt und Material-Kontraste. Sein Werk ist wunderbar optimistisch. Es hat eine bestimmte Leichtigkeit und Eleganz. Das mag eine sehr persönliche Interpretation sein. Aber ich bin mir sicher, dass man, wenn man mit Dieter Rams über Einflüsse spricht, gewissen Kontinuitäten feststellen wird. In seinen Entwürfen setzt sich zum Beispiel das Kantige der Bauhaus-Bewegung fort. Dennoch ist sein Stil wunderbar persönlich.
GT: Jahrzehntelang galt deutsches Design als „rechteckig und zuverlässig“. Zweifellos wurde dieses Bild zu einem großen Teil von Braun und Dieter Rams geprägt. Würden Sie sagen, dass es auch heute noch Stilelemente gibt, die für bestimmte Nationen typisch sind? Oder ist das Design inzwischen ebenso globalisiert wie die Architektur?
NF: Architektur hat sicherlich eine globalisierende Wirkung gehabt – und das mit durchaus fragwürdigem Effekt. Die Globalisierung in der Architektur hat bestimmte Gebäudeformen verdrängt. Zum Beispiel war ja die traditionelle Architektur in einer Wüstenumgebung geprägt davon, dass es keine billige Energie gab, so dass man einen Schalter umlegen und eine Klimaanlage anschalten konnte. Wie sorgte man also für Kühlung in einem solchen Gebäude? Mit natürlichen Mitteln. Und das ist eine andere Art von Architektur. Andererseits bin ich mir auch bewusst, dass wir heute von globalen Liefer- und Materialketten abhängig sind, die der Realität unserer Zeit entsprechen. Die gleichen Tendenzen sieht man auch beim Design von Flugzeugen, wo es im Wesentlichen nur zwei große Hersteller gibt. Dasselbe sieht man auch im Automobilbereich: immer weniger, größere Unternehmen operieren weltweit. Diese Tendenzen sind also durchaus offensichtlich. Doch inwieweit werden Unterschiede im Design nivelliert? Ich denke, es gibt immer noch Länder, die man mit einer bestimmten Gestaltungssprache verbindet. Dieter Rams entspringt einer bestimmten deutschen Tradition, die sehr edel ist. Und es gibt auch noch immer Merkmale, die für japanisches Design typisch sind. Ähnliches gilt für Italien. Man könnte sagen: Es gibt eher nationale Strömungen – offensichtliche und weniger offensichtliche. Aber ohne Frage haben sich die Entwürfe von Dieter Rams weltweit verbreitet. Sie sind absolut universell.
GT: Da Sie Autos erwähnt haben: Wenn man sich das heutige Automobildesign genauer ansieht, scheint es in diesem Bereich einen deutlichen ästhetischen Verfall zu geben. Vielen Wagen mangelt es an Charakter und Eleganz, oder?
NF: Autodesign ist sicherlich langweiliger geworden. Es gibt natürlich ein Paradoxon: Autos sind leiser, sicherer, sparsamer und zuverlässiger geworden. Doch im Laufe der Zeit haben sie ihre Identität und ihren Charakter verloren. Vielleicht auch als Folge von immer mehr Sicherheitsanforderungen. Das Design muss womöglich immer mehr auf diese Normen reagieren. Im Großen und Ganzen waren die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte überwiegend positiv. Aber wenn man sich die aktuellen Modelle anschaut, fehlt ihnen heute die Lebendigkeit, die Vielfalt früherer Jahrzehnte. Ich denke, dass es wahrscheinlich eher eine kulturelle Frage ist. Vor ein paar Wochen war ich mit dem Designchef von Tesla unterwegs und er zeigte mir die futuristische Version eines Trucks, die optisch völlig aus dem Rahmen fällt. Ich schätze, das Design soll bestimmte Aspekte der Persönlichkeit des Fahrers widerspiegeln, der viele Konventionen in Frage stellt – sei es in Bezug auf Platz oder in welcher Form auch immer. Ich denke, im Automobildesign lassen sich schon noch immer Konventionen brechen und interessantere Formen kreieren. Doch bis es soweit ist, sind wir mit der Realität eines einheitlicheren, langweiligeren, aber fortschrittlichen Stils konfrontiert.
GT: Wie würden Sie Design definieren?
NF: Design ist eine Reaktion auf Notwendigkeiten und hat seinen Ursprung in Überlebensbedürfnissen. Wenn aber das Überleben gesichert ist, gibt es mehr Zeit und mehr Luxus: Man kann dann das Design nutzen, um die Lebensqualität zu verbessern. Es hat also eine funktionale und eine spirituelle Dimension. Ich meine, warum reden wir hier über die Entwürfe von Dieter Rams? Weil sie einfach schöner sind als die anderer Designer! Gestaltung wurzelt in Bedürfnissen: materiellen und spirituellen Bedürfnissen. Design hält uns trocken, wenn es draußen regnet. Es sorgt für Kühle, wenn es draußen heiß ist. Und umgekehrt. Und im Idealfall fühlen wir uns durch gute Gestaltung besser.